Der Passgang

Fluch oder Segen?

Die diagonale Fußfolge im Trab ist beim Hovawart die Regel. Doch auch den Passgang sieht man auf Ausstellungen, Zucht- und Leistungsprüfungen gelegentlich. Ein Grund zum Naserümpfen?


TEXT und FOTOS Rolf Schettler

Der Hund und sein Urahn, der Wolf, sind Dauerläufer. Das „normale“, angeborene Bewegungsmuster ist der diagonale Zweitakt im Trab, das heißt: das rechte Hinterbein bewegt sich zeitgleich mit dem linken Vorderbein nach vorne, kommt dann in die Schwebe und fußt umgekehrt. Die Verspannung der entsprechenden Skelettteile, insbesondere der Extremitäten mittels Sehnen und Bändern wirkt wie bei einem pendelnden Uhrwerk, sehr kraftsparend und rhytmisch.

Professor Dr. Martin Fischer hat in seiner Jenaer Studie, die in dem Standardwerk „Hunde in Bewegung“ Niederschlag gefunden hat, die Grundlagen der Fortbewegung beim Hund u.a. auch bei Hovawarten ausführlich dargestellt, in skelett-mechanischer, muskulärer und physiologischer Hinsicht. Der Hovawart gilt daher aufgrund seiner Körperproportionen (Widerristhöhe, Rumpf- und Beinlänge) als besonders lauffreudig.
Die Kinetik ist im Trab mit diagonaler Fußfolge besonders effizient und kraftschonend, jedenfalls bei Hund und Pferd. Andere Tierarten bewegen sich vorzugweise im Passgang, also dem zeitgleichen Vorschwingen der gleichseitigen Beinpaare: vorne links und hinten links, dann vorne rechts und hinten rechts. So zum Beispiel das Kamel, die Giraffe und der Elefant. Auch bei Pferden gibt es bestimmte Rassen, die den Passgang zusätzlich beherrschen und darauf speziell gezüchtet wurden. Die Isländer oder der Peruanische Paso, aber auch der mittelalterliche Zelter. Gerade für Damen im Damensattel war der Passgang wesentlich bequemer und weicher zu sitzen, weil die Schwebephase kürzer ist. Auch bei einigen Traberrassen in USA werden spezielle Rennen für Passgänger durchgeführt, sowohl vor dem Sulky als auch im Sattel. Interessant ist, dass die Passgänger im Durchschnitt geringfügig schnellere 1000-m-Zeiten laufen als der normale Traber.

In der Hundezucht hat der Passgang weder einen besonderen Nutzwert noch einen ästhetischen Vorteil und wird daher auch nicht züchterisch gefördert. Aber er kommt eben vor und galt viele Jahre als Fehler, weil man ihn mit Erkrankungen des Bewegungsapparates in Verbindung brachte. Gerade hochaltrige Hunde und solche, die mit Arthrose im Knie- oder Hüftgelenk oder aber mit Rückenproblemen zu tun haben, neigen vorzugsweise zum Passgang. Offenbar wegen der Entlastung der großen Gelenke und der Wirbelsäule, die an der Fortbewegung beteiligt sind und die die Stemmkräfte der schwungvollen, raumgreifenden diagonalen Trabbewegung aufnehmen müssen. Aber es gibt eben auch jüngere Hunde, die vor allem bei langsamer Geschwindigkeit Pass gehen, beim Zulegen im Tempo aber problemlos in die diagonale Fußfolge wechseln. Insofern hegt die Wissenschaft Zweifel, ob man den angeborenen Passgang beim Hund als pathologisch, als fehlerhaft einschätzen darf.
In diesem Zusammenhang kommt eine recht neue genetische Entdeckung bei Pferd und Maus wie gerufen, um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. 2012 veröffentliche ein Forscherteam der schwedischen Universität Uppsala die Entdeckung der Genmutation DMRT3, die ein Pferd in die Lage versetzt, neben dem diagonalen Trab auch den Passgang zu zeigen. Alle Isländer, die in der Wettbewerbsform „Rennpass“ erfolgreich waren, verfügen über diese Mutation. Die Ergebnisse wurden 2016 von Saskia Wutke u.a. im Leipnitz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung der Humboldt-Universität Berlin für Pferde und Mäuse bestätigt. Prof. Fischer (Uni Jena) spricht daher beim Passgang gerne auch von einer „Erweiterung des lokomotorischen Repertoirs“ der Tiere und geht davon aus, dass eine solche Gen-Mutation auch beim Hund für den nicht-pathologischen Passgang verantwortlich ist, auch wenn der genaue artspezifische Gennachweis beim Hund bisher noch nicht vorliegt.

links: Der kraftvolle, schulterfreie diagonale Trab mit gerader Rückenlinie und schön getragener Rute ist der „Normalgang“ des Hovawarts.
rechts: Das gleichzeitige Vorschwingen des gleichseitigen Beinpaares kennzeichnet den Passgang.

Für die Gangbeurteilung beim Hovawart, darf folglich der Passgang nicht per se als Fehler angekreidet werden, sofern der Hund bereit und in der Lage ist, bei höherem Tempo in die diagonale Fußfolge zu wechseln. Das allerdings ist zwingende Voraussetzung, denn der kraftvolle diagonale Trab ist und bleibt die wichtigste (und schönste) Gangart des Hovawarts. Im Ausstellungsring sollte jeder Vorführer um das für seinen Hund notwendige Grundtempo wissen, gerade bei der Einzelmusterung, wenn auf keinen Vordermann Rücksicht genommen werden muss. Wenn allerdings – vor allem bei den Veteranen – ein Ausstellungskandidat ausschließlich Pass geht und während einer gesamten Vorstellung nicht zum diagonalen Trab zu bewegen ist, dann ist das sicherlich nicht mehr standardgerecht und rechtfertig kaum ein „v“ oder „sg“. Bei hochaltrigen, ansonsten noch vitalen Veteranen stellt eine derartige Präsentation Zuchtrichter und Körmeister vor die schwierige Herausforderung der Abwägung einer solchen Schwäche mit anderen positiven wie negativen Eigenschaften eines Hundes.
Wenn ein Hund jahrelang nur diagonal getrabt ist und plötzlich anfängt Pass zu gehen, so ist das ein Alarmsignal, dem man veterinärmedizinisch auf den Grund gehen sollte.


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Beitrag eingestellt durch presse.olnds

Süße Hovawart Hunde